Sport unter bildungspolitischen Gesichtspunkten

Sport unter bildungspolitischen Gesichtspunkten

Organisatoren
Sektion „Sportgeschichte“ der dvs (Deutsche Vereinigung für Sportwissenschaft); Landessportbund Hessen; Leitung: Michael Krüger
Ort
Frankfurt am Main
Land
Deutschland
Vom - Bis
07.06.2007 - 08.06.2007
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Von
Peter Tauber, Frankfurt am Main

Gemeinsam mit dem Landessportbund Hessen hatte die Sektion „Sportgeschichte“ der dvs (Deutschen Vereinigung für Sportwissenschaft) unter der Leitung von Michael Krüger zu ihrer jährlichen Tagung nach Frankfurt am Main eingeladen. Die knapp 40 Teilnehmerinnen und Teilnehmer erwarteten 14 Fachvorträge, die sich der Bedeutung von Gymnastik, Turnen, Spiel und Sport aus bildungsgeschichtlichem Blickwinkel nähern wollten. Begrüßt wurden die Anwesenden zunächst durch das Präsidiumsmitglied des Landessportbundes Heinz Zielinski, der auf die heutige Bedeutung des Sports auch als Aspekt der Bildungspolitik einging. Vorbereitet hatte die Tagung in Frankfurt der Arbeitskreis „Sport und Geschichte“ des Landessportbundes unter Federführung von Peter Schermer und Rolf Lutz. Michael Krüger bedankte sich für die freundliche Aufnahme und begrüßte die Anwesenden im Namen der dvs. Er betonte das Bemühen, bei der Durchführung der Jahrestagung einen Partner zu finden, um die Sportgeschichte in die Breite zu tragen.

Bernd Wedemeyer-Kolwe leitete die erste Sektion ein, die sich den Themen Lebensreform, Körperkultur und Sport in den 1920er-Jahren. Im ersten Vortrag von Florentine Fritzen wies die Referentin auf die vielen Berührungspunkte zwischen der Lebensreformbewegung auf der einen und Aspekten der Gesellschaftspolitik und der Körperkultur auf der anderen Seite hin. In den Mittelpunkt ihres Vortrags stellte sie den Begriff der „Ganzheitlichkeit“ und der ganzheitlichen Erziehung sowie Entwicklung des Menschen als Aspekt der Lebensreform. Überlegungen und Formulierungen, die in ähnlicher Form auch von der Turn- und Sportbewegung aufgegriffen wurden.

Rudolf Oswald stellt die Erziehung zur Volksgemeinschaft mittels des Mannschaftssports in den Mittelpunkt seines Vortrags. Dabei arbeitete er sich an der allgemein breit diskutierten These von Nils Havemann ab, der in seiner Studie zur Geschichte des DFB im Dritten Reich ökonomische Aspekte zur entscheidenden Handlungsmaxime der Sportfunktionäre erklärt hatte. Oswald verweist auf die starke prägende Disposition der handelnden Personen durch die Zeitumstände und die Erziehung, die sie durchlaufen hätten. Keineswegs könne daher allgemein von einem allein ökonomischen Impetus gesprochen werden. Vielmehr sei auffällig, dass von Funktionären und Pädagogen vor allem der Sozialdisziplinierung der Menschen mittels des Mannschaftssports das Wort geredet wurde. Dem Ersten Weltkrieg kam bei dieser Entwicklung nach Auffassung des Referenten eine „Katalysatorfunktion“ zu. Die Idee der Volksgemeinschaft, quer durch alle gesellschaftlichen Gruppen adaptiert, prägte auch die Turn- und Sportbewegung und fand Ausdruck in der Förderung des Mannschaftssports, die dem Ziel einer „Disziplinierung des Individuums“ folgte.

Die Zielsetzung des 1891 im Anschluss an die preußische Schulkonferenz von 1890 gegründeten Zentralausschuss (ZA) für Volks- und Jugendspiele in Fragen der Reform des Turnunterrichts rückte Ralph Schäfer in den Mittelpunkt seines Vortrags. Das seit dem 19. Jahrhundert zunehmende Interesse an körperlicher und geistiger Ausbildung und Erziehung führte zur Entstehung verschiedener miteinander in Konkurrenz stehender Konzepte, die mit Namen wie Jahn, Spieß und Rothstein in Verbindung standen. Der ZA als Organisation der Spielbewegung vermittelte hier und strebte vor allem eine gesellschaftliche Anerkennung und Aufwertung der körperlichen Erziehung als wesentliches Element der Bildung und Ausbildung an. Dieses Ziel suchte man unter anderen durch eine enge Vernetzung mit Entscheidungsträgern aus Politik und Gesellschaft zu erreichen.

Peter Tauber wandte sich der Aufwertung des Sports als Bestandteil der soldatischen Ausbildung in der Reichswehr der Weimarer Republik zu. Dabei ging es ihm darum, nicht nur die Aufwertung des Sports als neues zentrales Element der Ausbildung nachzuzeichnen, sondern den Fokus auf die Ambivalenz des Sports als sowohl die körperliche Ausbildung als auch die charakterliche Prägung des Soldaten zu legen.

Aufbauend auf dem ersten Themenkomplex ging es in den folgenden drei Referaten um die Körpererziehung und Sport im Vorfeld und zur Zeit des „Dritten Reiches“ sowie in der DDR; einer Sektion die von Michael Thomas geleitet wurde. Wolfgang Buss skizzierte die Entwicklung des Sports hin zu einem anerkannten Bildungsfach an den Universitäten, um daraus Grundlagen für die heutige Bedeutung des Fachs abzuleiten. Der „Sturz in den moralischen Abgrund nach dem Gipfelsturm“ während des Nationalsozialismus belaste die allgemeine Rolle des Fachs Sport im Fächerkanon der Hochschulen durchaus bis heute. Nachdem der Sport erst gegen heftigen Widerstand zu Gegenstand von Wissenschaft an den Hochschulen wurde – dem Ziel einer Aufnahme in den Bildungskanon zu erreichen, konterkarierte die nationalsozialistische Übersteigerung der körperlichen Erziehung dieses Bemühen.

Berno Bahro wandte sich in seinem Vortrag den Veränderungen in der DDR-Lehrerausbildung zu und leitete mit seinem Verweis auf die ideologische Prägung und Ausformung der Lehrinhalte direkt zu Justus Meyer über, der über den Sport in der DDR als „Mittel der Erziehung zu sozialistischem Staatsbewusstsein“ sprach. Meyer kam zu dem Ergebnis, dass die DDR-Führung den Sport ganz bewusst zur innenpolitischen Legitimation und Stabilisierung des Systems nutzte. Diese nicht in jedem Punkt neue Sicht der Dinge ergänzte er durch eine Gegenüberstellung der Bundesrepublik der er systemimmanent ein ähnliches nur anderen Werten verpflichtendes Handeln unterstellte.

Am Abend wurden drei Vorträge unter der Überschrift Jüdische Sportkultur, Eugenik und Behindertensport im Dritten Reich zusammengefasst. Sebastian Franke wies auf die immer noch bestehenden Desiderate zur Geschichte des jüdischen Sports in Deutschland hin. Seine regionalgeschichtliche angelegte Arbeit soll diese Forschungslücke zumindest für Sachsen in der Zeit des Nationalsozialismus schließen. In seinem Vortrag „Gesunde Gene im gesunden Körper?“ konnte Thomas Meyer den Zusammenhang zwischen Konzepten der Körperkultur – hier dem Schulturnen – und biologistisch geprägten – in diesem Fall der Eugenik – verdeutlichen. Damit unterstrich er die These, dass Turnen und Sport jeweils in einer engen Wechselwirkung zu gesellschaftlichen Ansichten und vorherrschenden Weltbildern standen und stehen. Von der Eugenik konnte Bernd Wedemeyer-Kolwe in seinem Beitrag zur „Körpererziehung“ Behinderter im Nationalsozialismus überleiten und damit ein bisher weitgehend außer acht gelassenes Feld nationalsozialistischer Körperkultur in den Blickpunkt rücken. Seine Darstellung der Förderung bestimmter Gruppen von Behinderten mittels des Sports mündete schließlich in der Frage nach möglichen Kontinuitätslinien im Bereich des Versehrten- und Behindertensports nach 1945.

Der zweite Tag der Tagung begann mit der Mitgliederversammlung der dvs-Sektion, die Michael Krüger als Vorsitzenden bestätigte. Inhaltlich standen zunächst das Jahnsche Turnen und das Schulturnen im Mittelpunkt der Vorträge. Thomas Hollerbach stellte die Vaterlandsliebe im Konzept Friedrich Ludwig Jahns in den Mittelpunkt. Jahn appelierte an ein „Volksgefühl“, dass er durch sein Erziehungskonzept verstärken wenn nicht sogar neu schaffen wollte. Sein pädagogischer Ansatz ging also deutlich über die körperliche Erziehung hinaus.

Einem Exkurs gleich kamen die Vorträge zum Thema Archivwesen und Archivierung in den Turn- und Sportverbänden sowie in den staatlichen Archiven. Werner Mais sprach über die Bedeutung der Archivpflege im organisierten Sport. Das Archiv als „Gedächtnis der Gesellschaft“ als Lernort stelle dabei Thomas Lux, Staatsarchiv Darmstadt in den Mittelpunkt seines Vortrags.

Die Tagung endete mit einem Vortrag des hessischen Sport- und Innenministers Volker Bouffier, der über die Bedeutung des Sports in der Landespolitik referierte. Vor allem zur Integration von Ausländern als auch in der Bewältigung des demografischen Wandels sei der Beitrag des Sports und der Turn- und Sportvereine nicht hoch genug einzuschätzen. Daher müsse die Politik den Sport weiter unterstützen. Aber Bouffier mahnte auch eine intensivere Öffentlichkeitsarbeit der historischen Sportwissenschaft an. Man müsse die gute Arbeit und die Notwendigkeit, die Bedeutung des Sports geisteswissenschaftlich zu untersuchen, stärker nach außen tragen.

Wie richtig und wichtig die Aufforderung Bouffiers war, diese Nebenbemerkung sei zum Schluss erlaubt, zeigte auch, dass parallel zur Tagung des dvs-Sektion Sportgeschichte eine sportwissenschaftliche Tagung der neu gegründeten Deutschen Gesellschaft zur Geschichte der Sportwissenschaft (DGGSPW) im Rahmen des Evangelischen Kirchentages stattfand. Solche Überschneidungen sollten künftig vermieden werden. Nicht nur die Fülle von spannenden Vorträgen, sondern auch das Streben, künftig organisatorisch und öffentlichkeitswirksam schlagkräftiger und konzentrierter zu arbeiten, könnten wichtige Impulse für die Weiterentwicklung der historischen Sportwissenschaft sein.


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